Julien Blanc-Gras:
Tourist
Wie ich mit
Buddhas Mutter zu Abend aß, in Mosambik Frösche fing und Radarfallen im Busch
entkam
Wer zu spät kommt,
den bestraft das Leben. Und zugegeben, es ist seit dem Erscheinen des „Tourist“
von Julien Blanc-Gras nun doch schon fast ein Jahr her. Aber man kann eben
nicht alles immer gleich entdecken. Ob als Tourist oder als aufmerksamer
Rezensent. Sei’s drum.
Aber besser etwas später als nie. Und mein erster Eindruck:
Haptik und Layout ist bei einem Buch nun nicht gerade das Wesentlichste (kann
man das überhaupt steigern???). Aber trotzdem wesentlich. Zumindest für mich.
Wenn ich ein Buch in der Hand halte, dann habe ich ein ganz anderes Gefühl
dafür als wenn ich den Text mir am Bildschirm ansehe. Fühlen, sehen. Schmecken
nun nicht gerade. Aber es gibt Bücher, die riechen unangenehm. Aber das sind
vor allem Bildbände auf Hochglanzpapier. Aber dieses Buch, nach alter Art fein
ausgestattet mit Schutzumschlag und Lesebändchen, gibt mir von Anfang an ein
gutes Gefühl.
Berufswunsch: Tourist!
Es gibt unangenehmere Berufe. Und so war Julien Blanc-Gras
bereits als Kind ist fasziniert von Karten und schlief lieber mit einem
aufblasbaren Globus ein als mit einem Kuscheltier. Seither ist er seinem
erklärten Ziel, jedes Land der Welt zu bereisen, ein beachtliches Stück näher
gekommen. Die „Magie der Karten“ bescherte ihm seinen erste ästhetischen
Schock, schreibt er. Auch die körperliche Seite der Geografie entdeckte er nach
einer Zeit der „platonischen Liebe“. Bei einer Lebenszeit von 30 000 Tagen, so
liest man in seiner Präambel, rechnete er sich durchschnittlich fünf Monate für
jedes Land aus. Nun gut, einige Länder lassen sich vielleicht auch schneller
erledigen – Luxemburg etwa erklärt der Autor nach einem kurzen Tankstopp
bereits für abgehakt …
Von der Krümmung des Universums bis zur Sexszene
Der Autor macht es seinen Lesern einfach: Das Buch ist
gegliedert in Episoden, die da heißen wie die erste: „Englische Episode, in der
man die Bedeutung der Reisefreiheit erfasst“ oder die letzte „Mosambikanische
Episode, in der man mit der Landschaft verschmilzt“. Dazwischen geht es unter
anderem nach Indien. Nach Marokko, nach Polynesien, Brasilien, China,
Madagaskar und in andere Länder.
Episoden die man kaum für wahr hält
Blanc-Gras‘ Themen sind Buddhas Mutter, lächerliche Länder,
Karaoke, die Krümmung des Universums und natürlich auch Sex, dem ebenfalls eine
Episode gewidmet ist. Wie wird man für einen Bollywood-Film gecastet, frägt er
sich? Was kann in der marokkanischen Wüste noch mehr nerven als ein
Heuschreckenschwarm? Wovon ernährt sich der Buddha Boy? Wie übersteht man
Affenattacken in Indien, Schlammbäder in kolumbianischen Vulkanen,
Karaokewettbewerbe auf dem Jangtsekiang? Und vieles mehr noch, zum Glück, 235
Seiten lang.
Mutig in der heutigen Zeit: politische Unkorrektheit
Der reiseverrückte Autor liefert nicht nur Antworten auf
diese und viele weitere Fragen; er stellt sich auch unbequemen Wahrheiten,
denen er mit einer gehörigen Prise schwarzen Humors und politischer
Unkorrektheit begegnet, wo es ihm notwendig erscheint. Wer traut sich das noch,
immer mit dem Hintergedanken, einen shit-Sturm zu entfachen, dem man vielleicht
nicht mehr Herr wird? Dank sei also mutigen Leuten, die es sich getrauen, auch
mal frech und unkorrekt zu sein.
Mit selbst ernannten Weltverbesserern hat der Autor nämlich genauso
wenig gemein wie mit ehrgeizigen Abenteurern, und durch sein kurzweiliges Buch
beweist er, dass es für die Entdeckung der Welt nicht viel mehr braucht als
Höflichkeit, Neugier und Offenheit.
Alles ist spannend, interessant und perfekt geschrieben bzw.
übersetzt, mit so viel persönlichem Engagement und Erlebnis, dass man sich
fragt: Ist die Geschichte mit der Lebensreise wirklich wahr oder ist der Autor
„nur“ ein begnadeter Erzähler und viel Phantasie? Beschrieben wird er
jedenfalls als „leidenschaftlicher Reisender“. Würde mich schon interessieren,
ist aber letztendlich auch egal. Die Zeit mit dem Buch war es wert, sich darin
verloren zu haben. Und zwar auf dem heimischen Sessel. Und das ist doch auch
schon was…
Zum Autor:
Julien Blanc-Gras,
geboren 1976 in Gap in den französischen Alpen, ist Journalist, Buchautor und
leidenschaftlicher Reisender. Tourist, in Frankreich ein
Erfolg bei Presse und Publikum, ist sein erstes Buch, das auf Deutsch
erscheint. Zuletzt veröffentlichte er den kritischen Bericht Paradis
(avant liquidation) über seinen Aufenthalt auf den durch den
steigenden Meeresspiegel bedrohten Kiribati-Inseln.
Julien Blanc-Gras: Tourist
Wie ich mit Buddhas Mutter zu Abend aß, in Mosambik Frösche
fing und Radarfallen im Busch entkam. Aus dem Französischen von Annika Loose, 240 Seiten, gebunden mit
Schutzumschlag und Lesebändchen. Verlag mare. ISBN 978-3-86648-219-7. 20 €.
Hier
finden Sie …
… Artikel über
Reisen und was schön daran ist, Artikel über die Welt der Alpen, Artikel über Baden-Württemberg, Besprechungen von Reise- und Wanderliteratur, Artikel über Stuttgart, Artikel und vor
allem schwarzweiß-Fotos von und über Stuttgart für Minimalisten unter den Freunden der
Fotografie; außerdem wird auf den englischsprachigen
Blog für Leben und Erleben in Stuttgart und der weiten Welt hingewiesen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen