Andreas
Geiger:
Streuobst
Vom
Geschmack einer Landschaft
Wer wissen
will, was der heute etwas außer Gebrauch gekommene Begriff „Buchkunst“ bedeutet,
der schaue sich nur einmal das Cover und die ersten Seiten dieses neuen Buches
über eine alte Sache an: Illustriert mit einer historischen Abbildung zum
Thema, reliefiert und mit Gold unterlegt. Und dann ist das Buch auch noch mit einem
Lesebändchen ausgestattet!
Und das alles wegen einer so profanen Sache
wie „Streuobst“ – Obst, das heutzutage kaum noch etwas zählt, und das
vielerorts auf den Wiesen verfault, weil es sich nicht lohnt, es aufzusammeln? Passend,
finde ich. Streuobst kann man nicht genug loben und wertschätzen. Für einen
Apfel aus der nahegelegenen Baumwiese würde ich zum Beispiel die ganzen
exotischen Früchte, mit viel CO2 und Aufwand hergeflogen, eintauschen. Für einen
guten Apfel, sollte ich vielleicht dazu sagen. Denn nicht alle modernen
Züchtungen halten was sie versprechen oder was man sich von ihnen verspricht.
Streuobstwiesen also. Sie zeugen von jahrhundertealter Apfel- und
Birnenanbautradition, eng verwoben mit dem Leben der Menschen. In Obstgärten
und artenreichen Wiesenlandschaften gedeihen an schiefen Storren eigenwillige
Früchte wie Holzapfel oder Nägeles Birne. Schon der Vater Friedrich Schillers
war in die Sache verwickelt und nicht wenige Obstbäume, die entlang der alten Chausseen
im ehemaligen Württemberg standen, waren ihm zu verdanken.
Jörg
Geiger – der Name ist Programm
Streuobst also: Aus ihnen kreiert der Koch und Obstbauer Jörg
Geiger, namensverwandt mit dem Autor dieses Buches, neuartige Genusserlebnisse.
Der Manufaktur-Betreiber aus dem Landkreis Göppingen, aus Schlat am Rand der
Schwäbischen Alb, hat sich dem Erhalt dieser vom Aussterben bedrohten
Kulturform verschrieben, der Erzeugung von Most und feineren Getränken. Legendär
sein Kampf gegen die übermächtige Champagnerindustrie Frankreichs, die ihm die
althergebrachte Bezeichnung Champagner Bratbirne verbieten wollte. Ganz
Deutschland (hoffentlich) nahm Anteil am Kampf Davids gegen Goliath. Geiger hat
den Kampf zwar verloren, aber hat es listigerweise doch noch geschafft, den
Namen der Birne auf der Flasche unterzubringen. Unbezahlbar blieb jedoch die
Werbung für ihn, von der er wahrscheinlich heute noch zehrt – wer wüsste sonst
von ihm? So ist es aber heute: Werden bei einem Empfang zusätzlich zum üblichen
Sekt und Wein Produkte Jörg Geigers gereicht, greift eine große Zahl der
Geladenen dazu. Weil es ihnen schmeckt, hoffentlich, vielleicht auch aus
Neugierde, um der Abwechslung willen oder weil man noch Auto fahren muss.
Und eben diesen Jörg Geiger stellt der gleichnamige Autor in
diesem Buch vor. Danke auch dafür. Man erfährt so einiges vom Streuobstpionier,
das man als Liebhaber seiner Produkte vorher vielleicht noch nicht wusste.
Gegliedert ist das Buch, das man sicher gerne in einem Zug durchlesen
möchte, nach den Jahreszeiten Frühling, Sommer, Herbst und Winter, passend im
Inhalt mit Gesprächen der beiden Geigers, der Arbeit und der Forschung an den
Geiger'schen Erzeugnissen, Wissenswertem über die Bäume und ihr Obst, und nicht
zuletzt den Berichten über die Versuche, neue Geschmacksrichtungen mit allen
möglichen und unmöglichen Inhaltsstoffen zu kreieren.
Saures
Gesöff
Most, das „saure Gesöff“, wie der Autor als Kind urteilte, ist
das eines der Themen des Buches, weiter das Fällen eines alten Apfelbaumes und
vieles mehr. Zum Beispiel die Zeit, als die alten Obstwiesen als nutzlos galten
– die 1990er Jahre outet der Autor als den Tiefpunkt. Gerne liest man weiter.
Blumig und eigentlich liebevoll, um es mal so zu sagen, beschreibt er, wie zum
Beispiel ein Prisecco aus Blüten, aus Schlehen, Apfelsaft und Douglasien
entsteht. Man staunt über die Zutaten, wenn man das Produkt später probiert.
Was aber für alle Geiger‘schen Produkte gilt. Blumig ist wohl der passende
Begriff für seine Beschreibungen seiner Säfte und Sekte.
Später geht’s an die Fortpflanzung, aber der der Bäume. Kein
lustvolles Bienengebrumme, nein, Geiger und ein Helfer spielen Biene, und fast
klinisch rein wird versucht, eine neue Sorte zu züchten, die im Gegensatz zu
den eher langweiligen geklonten der Umgebung steht.
Alte
Birnen- und Apfelsorten – ungeschliffene Juwelen der schwäbischen
Wiesenobstlandschaft
In einem anderen Kapitel sind die beiden Geigers unterwegs, um
den Boden mit Hilfe eines alten Traktors mit Zusatzgerät, mit Nährstoffen
versorgt. Ansonsten erzählt Geiger über seine Erlebnisse und Erkenntnisse mit
Geiger, auch über die Entstehung eines neuen Priseccos mit dem Namen „Unreifer
Apfel mit Eichenlaub“ – man muss wahrscheinlich schon ein sehr reifer Kenner
und Liebhaber sein, um sich hier ans Versuchen zu machen.
Unreifer
Apfel mit Eichenlaub
Der Filmemacher und Autor Andreas Geiger erkundet an der Seite
Jörg Geigers die Kunst der Baumpflege, der Bodenverbesserung und das
Experimentieren mit heimischen Sorten – und erlebt althergebrachtes Wissen als
Schlüssel zum Geschmackskern einer Region.
Zum Autor:
Andreas Geiger, Jahrgang 1969, lebt in Stuttgart und Donzdorf. Er hat an der
Filmakademie Baden-Württemberg studiert und bewegt sich in seinen
Dokumentarfilmen (Heavy Metal auf dem Lande, Die Gabe zu heilen) im
Spannungsfeld zwischen Heimatkunde und Popkultur. Streuobst ist sein erstes
Buch.
Andreas Geiger: Streuobst. Vom Geschmack einer
Landschaft. Erzählendes Sachbuch. 208 Seiten mit farbigen und schwarzweiß
Abbildungen und Fotos, gebunden mit Lesebändchen, Format 16,5 × 23,5 cm. 8 Grad
Verlag, Freiburg, 2024. ISBN: 978-3-910228-45-0. 35 €
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Dieter
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