Warum geht der
Tourist nach Südtirol? Wegen der Landschaft? Wegen der Berge? Wegen des Essens?
Wegen Kunst und Kultur? Nun, vielleicht von allem etwas wird die Leute
anziehen.
Und hier bleiben wir beim Anziehungspunkt Kunst. Autor Hapkemeyer
unternimmt mit seinem Werk über das „Erlebnis Kunst in Südtirol“ einen vergleichender
Blick auf Kunst und Architektur am Schnittpunkt von Nord und Süd. Dieses
spannungsgeladenes Feld wird ja auch auf dem Gebiet der Kulinarik beackert -
und ist, und damit sind wir wieder beim Touristen - vielleicht einer der
Hauptanziehungspunkte des Landes.
Der Autor beginnt mit einer geschichtlichen Einleitung, die einem im
Sauseschritt von dem Römern des letzten vorchristlichen Jahrhunderts bis in die
1970er Jahre führt. Danach folgt eine doppelseitige Karte mit den Schauplätzen
der beschriebenen Kunstwerke nebst den dazugehörigen Seitenzahlen. Ein Service,
den man sicher zu schätzen weiß, wenn man sich für eine bestimmte Sache
interessiert.
Hapkemeyers Werk, ein „Bildsachbuch“, stellt vergleichend herausragende
Werke aus Südtirols Kunst und Architektur vor. Der Bogen reicht dabei von
Fresken des Frühmittelalters und der Barockmalerei über das Bauprogramm des
italienischen Faschismus bis zur Gegenwart. Anhand von über 250 Bildbeispielen
werden kunst- und kulturhistorische Zusammenhänge anschaulich erläutert und
Unterschiede deutlich gemacht. Da auf Fachjargon verzichtet wird, kann dieses
Buch nicht nur von Kunstfreaks, sondern von „Jedermann“, einschließlich der
jüngeren Generation gelassen und verstanden werden. Das ist bei solchen Werken
nicht immer der Fall. Im Prinzip wird in diesem Buch die Geschichte der Kunst
und ihre Entwicklung, ihre Aussagen und Methoden dazu erklärt, aber
ausschließlich anhand von Beispielen aus Südtirol Auch das ein interessanter
Ansatz, insbesondere für einheimische Interessenten (jeglichen Alters.
Architektur wird gleichberechtigt mit der „übrigen“ Kunst behandelt. Die
Bauten und Monumentalschöpfungen der Zeit Mussolinis und des Faschismus werden
ausführlich beschrieben, für manch einen sicher die erste theoretische
Beschäftigung mit der Kunst jender Zeit. Aber auch die Neuzeit in Kunst und
Architektur nebst Design wird behandelt. Schade dass moderne Bauwerke nicht
einen etwas größeren Raum eingenommen haben - Schöpfungen in den Weinbergen bis
hin zu Bauten in den Bergen. Da öffentlich zu sehen fallen diese Kunstwerke dem
Interessierten sicher auch öfters ins Auge als neuere Werke der bildenden
Kunst, die ja eher in Räumen, womöglich gar in privaten, verschwindet. Aber,
man sieht es ja ein, der Platz in einem solchen Buch ist halt nicht unendlich…
Behandelt werden auch religiös motivierte Werke, in frühen Kunstwerke eh das
einzige Thema. Betrachtet werden sie in interessanten Texten mit modernem Bezug
und zeitgenössischen Beispielen. Was man in einem solchen Buch wohl nicht
erwartet ist das Kapitel über „Schrift im öffentlichen Raum“. Das ist nicht nur
außergewöhnlich, das ist auch vorbildlich, denn Schrift als Gebrauchskunst
zählt ja zu jenen Werken, die wir zwar immer wahrnehmen, allerdings eher
unbewusst, ohne dass wir uns Gedanken über die Gestaltung machen.
Zum Lesen, zum Schmökern, zum immer wieder reinschauen, lädt auch das
animierende, außergewöhnliche Layout des Buches bei. Langeweile kommt bei ihm
sicher nicht auf.
Hapkemeyer stellt sich und seinen
Lesern Fragen. Fragen, die man sich im Unterbewusstsein vielleicht selbst auch
stellt, aber sie wohl selten ausformuliert:
- Wie wird das Böse in der Kunst der Romanik dargestellt?
- Warum kennen wir die Namen mittelalterlicher Maler nicht?
- Was unterscheidet die mittelalterlichen Laubengänge von jenen der 1930er-Jahre?
- Was sagen uns die Inschriften und Wandreliefs an faschistischer Architektur?
- Sind Graffiti Kunst oder Vandalismus?
Fazit: Dieses Buch ist tiefschürfend, viel Wissen vermittelnd und doch so geschrieben, dass es alle verstehen und es alle interessiert. Es gehört in viele Hände. In die Hände aller Südtiroler sowieso, in die Hände auch
von Kunstliebhabern, die oft meinen, sie wüssten schon alles, in die Hände von
auch nur ansatzweisen interessierten Kindern und Jugendlichen, aber auch in die
Hände von Gästen, die mehr von Südtirol wissen wollen, als nur wo die nächste
Seilbahn abgeht, wo der nächste Klettersteig ist, oder wo es zum Törggelen
geht.
Zum
Autor:
Andreas Hapkemeyer,
geb. 1955 in Osnabrück. Studium der Germanistik und Kunstgeschichte. War Lektor
in Kanada und Süditalien und von 2000–2007 Direktor am Museum für moderne und
zeitgenössische Kunst, Bozen. 1995 Habilitation in Neuerer deutscher Literatur.
Koordinator der Manifesta 7. Seit 2006 Vorstandsmitglied der International
Foundation Manifesta (Amsterdam), heute Generalsekretär. Lehrbeauftragter an
den Universitäten Innsbruck und Bozen.
Andreas Hapkemeyer: Erlebnis
Kunst in Südtirol. Von Fratzen, Fresken und Fassaden. 128 Seiten, über 200 Farbabbildungen. Gebunden,
19 x 24,5 cm. Folio Verlag, Wien - Bozen. ISBN 978-3-85256-692-4. € [D/A] 19,90 / € [I] 18,80.
Sie erhalten das Buch im Buchhandel
oder hier.
Hier
finden Sie …
… Artikel über
Reisen und was schön daran ist, Artikel über die Welt der Alpen, Artikel über Baden-Württemberg, Besprechungen von Reise- und Wanderliteratur, Artikel über Stuttgart, Artikel und vor
allem schwarzweiß-Fotos von und über Stuttgart für Minimalisten unter den Freunden der
Fotografie; außerdem wird auf den englischsprachigen
Blog für Leben und Erleben in Stuttgart und der weiten Welt hingewiesen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen