Donnerstag, 19. Mai 2016

Andreas Hapkemeyer: Erlebnis Kunst in Südtirol

Andreas Hapkemeyer:
Erlebnis Kunst in Südtirol
Von Fratzen, Fresken und Fassaden
 


Warum geht der Tourist nach Südtirol? Wegen der Landschaft? Wegen der Berge? Wegen des Essens? Wegen Kunst und Kultur? Nun, vielleicht von allem etwas wird die Leute anziehen.

Und hier bleiben wir beim Anziehungspunkt Kunst. Autor Hapkemeyer unternimmt mit seinem Werk über das „Erlebnis Kunst in Südtirol“ einen vergleichender Blick auf Kunst und Architektur am Schnittpunkt von Nord und Süd. Dieses spannungsgeladenes Feld wird ja auch auf dem Gebiet der Kulinarik beackert - und ist, und damit sind wir wieder beim Touristen - vielleicht einer der Hauptanziehungspunkte des Landes.

Der Autor beginnt mit einer geschichtlichen Einleitung, die einem im Sauseschritt von dem Römern des letzten vorchristlichen Jahrhunderts bis in die 1970er Jahre führt. Danach folgt eine doppelseitige Karte mit den Schauplätzen der beschriebenen Kunstwerke nebst den dazugehörigen Seitenzahlen. Ein Service, den man sicher zu schätzen weiß, wenn man sich für eine bestimmte Sache interessiert.

Hapkemeyers Werk, ein „Bildsachbuch“, stellt vergleichend herausragende Werke aus Südtirols Kunst und Architektur vor. Der Bogen reicht dabei von Fresken des Frühmittelalters und der Barockmalerei über das Bauprogramm des italienischen Faschismus bis zur Gegenwart. Anhand von über 250 Bildbeispielen werden kunst- und kulturhistorische Zusammenhänge anschaulich erläutert und Unterschiede deutlich gemacht. Da auf Fachjargon verzichtet wird, kann dieses Buch nicht nur von Kunstfreaks, sondern von „Jedermann“, einschließlich der jüngeren Generation gelassen und verstanden werden. Das ist bei solchen Werken nicht immer der Fall. Im Prinzip wird in diesem Buch die Geschichte der Kunst und ihre Entwicklung, ihre Aussagen und Methoden dazu erklärt, aber ausschließlich anhand von Beispielen aus Südtirol Auch das ein interessanter Ansatz, insbesondere für einheimische Interessenten (jeglichen Alters.

Architektur wird gleichberechtigt mit der „übrigen“ Kunst behandelt. Die Bauten und Monumentalschöpfungen der Zeit Mussolinis und des Faschismus werden ausführlich beschrieben, für manch einen sicher die erste theoretische Beschäftigung mit der Kunst jender Zeit. Aber auch die Neuzeit in Kunst und Architektur nebst Design wird behandelt. Schade dass moderne Bauwerke nicht einen etwas größeren Raum eingenommen haben - Schöpfungen in den Weinbergen bis hin zu Bauten in den Bergen. Da öffentlich zu sehen fallen diese Kunstwerke dem Interessierten sicher auch öfters ins Auge als neuere Werke der bildenden Kunst, die ja eher in Räumen, womöglich gar in privaten, verschwindet. Aber, man sieht es ja ein, der Platz in einem solchen Buch ist halt nicht unendlich…

Behandelt werden auch religiös motivierte Werke, in frühen Kunstwerke eh das einzige Thema. Betrachtet werden sie in interessanten Texten mit modernem Bezug und zeitgenössischen Beispielen. Was man in einem solchen Buch wohl nicht erwartet ist das Kapitel über „Schrift im öffentlichen Raum“. Das ist nicht nur außergewöhnlich, das ist auch vorbildlich, denn Schrift als Gebrauchskunst zählt ja zu jenen Werken, die wir zwar immer wahrnehmen, allerdings eher unbewusst, ohne dass wir uns Gedanken über die Gestaltung machen.

Zum Lesen, zum Schmökern, zum immer wieder reinschauen, lädt auch das animierende, außergewöhnliche Layout des Buches bei. Langeweile kommt bei ihm sicher nicht auf.

Hapkemeyer stellt sich und seinen Lesern Fragen. Fragen, die man sich im Unterbewusstsein vielleicht selbst auch stellt, aber sie wohl selten ausformuliert:

  • Wie wird das Böse in der Kunst der Romanik dargestellt?
  • Warum kennen wir die Namen mittelalterlicher Maler nicht?
  • Was unterscheidet die mittelalterlichen Laubengänge von jenen der 1930er-Jahre?
  • Was sagen uns die Inschriften und Wandreliefs an faschistischer Architektur?
  • Sind Graffiti Kunst oder Vandalismus?

Fazit: Dieses Buch ist tiefschürfend, viel Wissen vermittelnd und doch so geschrieben, dass es alle verstehen und es alle interessiert. Es gehört in viele Hände.  In die Hände aller Südtiroler sowieso, in die Hände auch von Kunstliebhabern, die oft meinen, sie wüssten schon alles, in die Hände von auch nur ansatzweisen interessierten Kindern und Jugendlichen, aber auch in die Hände von Gästen, die mehr von Südtirol wissen wollen, als nur wo die nächste Seilbahn abgeht, wo der nächste Klettersteig ist, oder wo es zum Törggelen geht.

Zum Autor:
Andreas Hapkemeyer, geb. 1955 in Osnabrück. Studium der Germanistik und Kunstgeschichte. War Lektor in Kanada und Süditalien und von 2000–2007 Direktor am Museum für moderne und zeitgenössische Kunst, Bozen. 1995 Habilitation in Neuerer deutscher Literatur. Koordinator der Manifesta 7. Seit 2006 Vorstandsmitglied der International Foundation Manifesta (Amsterdam), heute Generalsekretär. Lehrbeauftragter an den Universitäten Innsbruck und Bozen.

Andreas Hapkemeyer: Erlebnis Kunst in Südtirol. Von Fratzen, Fresken und Fassaden. 128 Seiten, über 200 Farbabbildungen. Gebunden, 19 x 24,5 cm. Folio Verlag, Wien - Bozen. ISBN 978-3-85256-692-4.  € [D/A] 19,90 / € [I] 18,80.
Sie erhalten das Buch im Buchhandel oder hier.


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