Donnerstag, 24. Oktober 2024

Andreas Geiger: Streuobst

Andreas Geiger:

Streuobst

Vom Geschmack einer Landschaft

 


Wer wissen will, was der heute etwas außer Gebrauch gekommene Begriff „Buchkunst“ bedeutet, der schaue sich nur einmal das Cover und die ersten Seiten dieses neuen Buches über eine alte Sache an: Illustriert mit einer historischen Abbildung zum Thema, reliefiert und mit Gold unterlegt. Und dann ist das Buch auch noch mit einem Lesebändchen ausgestattet!

 

 Und das alles wegen einer so profanen Sache wie „Streuobst“ – Obst, das heutzutage kaum noch etwas zählt, und das vielerorts auf den Wiesen verfault, weil es sich nicht lohnt, es aufzusammeln? Passend, finde ich. Streuobst kann man nicht genug loben und wertschätzen. Für einen Apfel aus der nahegelegenen Baumwiese würde ich zum Beispiel die ganzen exotischen Früchte, mit viel CO2 und Aufwand hergeflogen, eintauschen. Für einen guten Apfel, sollte ich vielleicht dazu sagen. Denn nicht alle modernen Züchtungen halten was sie versprechen oder was man sich von ihnen verspricht.

Streuobstwiesen also. Sie zeugen von jahrhundertealter Apfel- und Birnenanbautradition, eng verwoben mit dem Leben der Menschen. In Obstgärten und artenreichen Wiesenlandschaften gedeihen an schiefen Storren eigenwillige Früchte wie Holzapfel oder Nägeles Birne. Schon der Vater Friedrich Schillers war in die Sache verwickelt und nicht wenige Obstbäume, die entlang der alten Chausseen im ehemaligen Württemberg standen, waren ihm zu verdanken.

Jörg Geiger – der Name ist Programm

Streuobst also: Aus ihnen kreiert der Koch und Obstbauer Jörg Geiger, namensverwandt mit dem Autor dieses Buches, neuartige Genusserlebnisse. Der Manufaktur-Betreiber aus dem Landkreis Göppingen, aus Schlat am Rand der Schwäbischen Alb, hat sich dem Erhalt dieser vom Aussterben bedrohten Kulturform verschrieben, der Erzeugung von Most und feineren Getränken. Legendär sein Kampf gegen die übermächtige Champagnerindustrie Frankreichs, die ihm die althergebrachte Bezeichnung Champagner Bratbirne verbieten wollte. Ganz Deutschland (hoffentlich) nahm Anteil am Kampf Davids gegen Goliath. Geiger hat den Kampf zwar verloren, aber hat es listigerweise doch noch geschafft, den Namen der Birne auf der Flasche unterzubringen. Unbezahlbar blieb jedoch die Werbung für ihn, von der er wahrscheinlich heute noch zehrt – wer wüsste sonst von ihm? So ist es aber heute: Werden bei einem Empfang zusätzlich zum üblichen Sekt und Wein Produkte Jörg Geigers gereicht, greift eine große Zahl der Geladenen dazu. Weil es ihnen schmeckt, hoffentlich, vielleicht auch aus Neugierde, um der Abwechslung willen oder weil man noch Auto fahren muss.

Und eben diesen Jörg Geiger stellt der gleichnamige Autor in diesem Buch vor. Danke auch dafür. Man erfährt so einiges vom Streuobstpionier, das man als Liebhaber seiner Produkte vorher vielleicht noch nicht wusste.

Gegliedert ist das Buch, das man sicher gerne in einem Zug durchlesen möchte, nach den Jahreszeiten Frühling, Sommer, Herbst und Winter, passend im Inhalt mit Gesprächen der beiden Geigers, der Arbeit und der Forschung an den Geiger'schen Erzeugnissen, Wissenswertem über die Bäume und ihr Obst, und nicht zuletzt den Berichten über die Versuche, neue Geschmacksrichtungen mit allen möglichen und unmöglichen Inhaltsstoffen zu kreieren.

Saures Gesöff

Most, das „saure Gesöff“, wie der Autor als Kind urteilte, ist das eines der Themen des Buches, weiter das Fällen eines alten Apfelbaumes und vieles mehr. Zum Beispiel die Zeit, als die alten Obstwiesen als nutzlos galten – die 1990er Jahre outet der Autor als den Tiefpunkt. Gerne liest man weiter. Blumig und eigentlich liebevoll, um es mal so zu sagen, beschreibt er, wie zum Beispiel ein Prisecco aus Blüten, aus Schlehen, Apfelsaft und Douglasien entsteht. Man staunt über die Zutaten, wenn man das Produkt später probiert. Was aber für alle Geiger‘schen Produkte gilt. Blumig ist wohl der passende Begriff für seine Beschreibungen seiner Säfte und Sekte.

Später geht’s an die Fortpflanzung, aber der der Bäume. Kein lustvolles Bienengebrumme, nein, Geiger und ein Helfer spielen Biene, und fast klinisch rein wird versucht, eine neue Sorte zu züchten, die im Gegensatz zu den eher langweiligen geklonten der Umgebung steht.

Alte Birnen- und Apfelsorten – ungeschliffene Juwelen der schwäbischen Wiesenobstlandschaft

In einem anderen Kapitel sind die beiden Geigers unterwegs, um den Boden mit Hilfe eines alten Traktors mit Zusatzgerät, mit Nährstoffen versorgt. Ansonsten erzählt Geiger über seine Erlebnisse und Erkenntnisse mit Geiger, auch über die Entstehung eines neuen Priseccos mit dem Namen „Unreifer Apfel mit Eichenlaub“ – man muss wahrscheinlich schon ein sehr reifer Kenner und Liebhaber sein, um sich hier ans Versuchen zu machen.

Unreifer Apfel mit Eichenlaub

Der Filmemacher und Autor Andreas Geiger erkundet an der Seite Jörg Geigers die Kunst der Baumpflege, der Bodenverbesserung und das Experimentieren mit heimischen Sorten – und erlebt althergebrachtes Wissen als Schlüssel zum Geschmackskern einer Region.

Zum Autor:

Andreas Geiger, Jahrgang 1969, lebt in Stuttgart und Donzdorf. Er hat an der Filmakademie Baden-Württemberg studiert und bewegt sich in seinen Dokumentarfilmen (Heavy Metal auf dem Lande, Die Gabe zu heilen) im Spannungsfeld zwischen Heimatkunde und Popkultur. Streuobst ist sein erstes Buch.

Andreas Geiger: Streuobst. Vom Geschmack einer Landschaft. Erzählendes Sachbuch. 208 Seiten mit farbigen und schwarzweiß Abbildungen und Fotos, gebunden mit Lesebändchen, Format 16,5 × 23,5 cm. 8 Grad Verlag, Freiburg, 2024. ISBN: 978-3-910228-45-0. 35 €

Sie erhalten das Buch im Buchhandel oder hier.

Dieter Buck

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