Dienstag, 18. Oktober 2016

Sina Pousset: Keine Ahnung, wo wir hier gerade sind

Sina Pousset:
 Keine Ahnung, wo wir hier gerade sind
Mit dem Fernbus unterwegs



Reisen ist schön. Nicht immer schön sind allerdings die Verkehrsmittel, mit denen man zwangsweise unterwegs sein muss. Flugzeug ist umständlich, Zug hat Verspätung, das Auto steht im Stau - und der Bus? Steht im Zweifel auch im Stau. Auch der Fernbus, quasi Ersatz für die Schiene, aber ohne deren freie Fahrt. Dafür aber billiger und deshalb beliebt. 

Der Reisende ist hier nicht alleine. Das kann positiv, aber auch negativ sein. Und dass es da allerlei Erlebnisse geben kann liegt auf der Hand.

Sina Pousset erzählt uns davon. Mit viel Erfahrung, mit viel Humor, man meint dabei zu sein. Sie steigt leidenschaftlich gerne in den Fernbus ein und erzählt in ihrem Buch hautnah vom letzten großen Abenteuer unserer Zeit.

Ein bisschen ist das mit dem Fernbus wie mit einer durchzechten Nacht. Man kommt dehydriert und zerknautscht zu Hause an und schwört sich: nie wieder. Bis zum nächsten Mal. Denn wer billig und flexibel verreisen will, muss in den Bus. In seinem Inneren herrscht fröhliche Anarchie: Es gibt keine Sitzplatzreservierung, keine Businessclass, keine Gepäckaufgabe. Beziehungen werden kurz vor der Abfahrt in Hamburg beendet und auf dem langen Weg nach München beweint, der Fahrer steht auf Helene Fischer, und der Typ hinten links lässt garantiert seinen Geldbeutel an der Tankstelle liegen. Dennoch schwören Millionen auf den Bus.!

Fernbusfahren nervt
Sina Pousset verbindet eine leidenschaftliche Hassliebe mit dem Fernbus. Denn Fernbusfahren nervt, das denkt man sich, das kann man in dem Buch auch lesen: Die Haltestellen sind gut versteckt und weit draußen, im Bus ist es zu eng, es gibt ständig Verspätungen und seinen Mitmenschen kommt man viel zu nah. Aber wer mit dem „Maulesel der Straße“ unterwegs ist, reist nicht nur günstig, sondern erlebt auch die besten Geschichten. Im Fernbus ist man nicht nur nah dran an den Tragödien und Komödien der anderen, sondern auch an ihrem Alltag – ganz nach dem Motto „Abenteuer Mensch“. „Auf seine ganz eigene Art und Weise ist der Bus wie eine Familie: Er nervt, aber am Ende des Tages ist er der Ort, an dem man sich geborgen fühlt“, findet die Autorin.

Wem gehört die Wasserflasche?
Mit Humor, Menschenliebe und einem feinen Gespür für Situationskomik erklärt Sina Pousset das Wesen des Fernbusses und das Verhalten seiner Passagiere. Von A wie „Ausreden, warum ich im Bus nicht mit Fremden rede“ über „Fünf beliebte Schlafpositionen, die garantiert fast funktionieren“ bis Z wie „Die Zerreißprobe – Gemeinsam Reisen“ spart sie nicht an Anekdoten von schön bis schaurig. Aus ihrem umfangreichen Erfahrungsschatz, gewonnen aus zahllosen Stunden im Fernbus, teilt die Autorin ihre mühsam erlernten Überlebenstipps. Sie weiß, wie man eine Busfahrt auch mit Erkältung übersteht, verrät, wie man einen Bussitz in ein temporäres Zuhause verwandelt und kennt die besten Tricks, um einen begehrten Doppelsitz zu ergattern. Sie gibt eine Liebeserklärung an den Rastplatz, erzählt von herren-/damenlosen Wasserflaschen und Ansagen des Fahrers und wie man sich auf der Enge eines Sitzplatzes häuslich einrichtet, 250 Seiten gespickt voll mit Erlebnissen, mit Komik, mit Überlebenskampf …

Wundertüte Bus
Wer noch nie mit dem Fernbus gereist ist, findet in „Keine Ahnung, wo wir hier gerade sind“ die perfekte Einstiegslektüre. Alle andere werden sich unweigerlich wiederfinden: ob in Sina Poussets Typologie der Busreisenden – von der Busschönheit bis zum Ghostwatcher – oder in ihren selbstironischen Schilderungen, wenn sie von den zahllosen Fettnäpfchen erzählt, die das Reisen mit dem Fernbus bietet. Doch keine Sorge: Selbst nach der Lektüre kann auf der nächsten Fernbusfahrt noch Einiges passieren: „Der Bus bleibt eine Wundertüte.“

Und so liest man sich durch einen dicken Schmöker, kichert über die Szenen, erkennt sich und andere wieder und kann gar nicht mehr aufhören. Dumm nur, dass das Buch zu dick ist, um es in einem Zug (oder sagt man passenderweise Bus?) durchzulesen. Gut aber, dass man das Vergnügen dann auf mehrere Tage und viele Stunden aufteilen kann

Hier finden Sie ein Interview mit der Autorin zu ihrem Buch.

Zur Autorin:
Sina Pousset studierte Kunst- und Literaturwissenschaft in Karlsruhe, Paris und Oxford. Seit 2012 schreibt sie für die Süddeutsche Zeitung, jetzt.de sowie das Süddeutsche Zeitung Magazin. Sie lebt heute als freie Autorin in Berlin und wartet liebend gerne auf einen Bus, wenn es sie in die Ferne zieht.

Sina Pousset: Keine Ahnung, wo wir hier gerade sind. Mit dem Fernbus unterwegs. Ca. 252 Seiten. Paperback, Klappenbroschur. Goldmann, 2016. ISBN: 978-3-442-15907-9. € 12,99 [D] | € 13,40 [A] | CHF 17,90* (* empf. VK-Preis)
Sie erhalten das Buch im Buchhandel oder hier.


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