Samstag, 30. Juli 2016

Martin Timm: Haiku fotografieren

Martin Timm: Haiku fotografieren –
Ein neuer Ansatz in der Naturfotografie
 


Haiku in der Fotografie? Was soll das. Haiku ist eine japanische Gedichtform. Und das in Fotos umgesetzt? Man staunt zuerst einmal über die Anmutung, wenn man den Buchtitel liest.

Man staunt auch, was ein Fotobuch in einem Onlinemagazin über Reiseliteratur zu suchen hat. Aber: mehr als man auf Anhieb vermutet. Gerade auf Reisen wird fotografiert. Gerade auf Reisen haben künstlerisch ambitionierte Fotografen unter den Laien oft Zeit und Muße, etwas auszuprobieren. Und gerade deshalb empfiehlt es sich für den Hobbyfotografen mit Ambitionen, besser zu werden, das Buch in den Reisekoffer zu stecken und durchzulesen - und nachzumachen. Haiku fotografieren, dazu muss man nicht in den deutschen Wald oder in die Heide gehen. Haiku fotografieren, diese minimalistische Art Fotokunst zu schaffen, kann man überall. Die Anleitung dazu liefert Martin Timms Buch.



Was sind Haikus?
Zum ersten Verständnis, zum Einlesen und Einarbeiten hilft nur eines: Das Buch mal in die Hand nehmen und drin blättern. Dann erschließt sich vieles von alleine. Und ein Fehler ist es sicherlich nicht, vorher mal zu googeln, was Haiku eigentlich bedeutet. Wikipedia weiß wie immer mehr: Haiku, japanisch 俳句, bedeutet auf Deutsch „scherzhafter Vers“ und gilt als die kürzeste Gedichtform der Welt. Diese traditionelle japanische Gedichtform ist heute weltweit verbreitet und wird auch von Nichtjapanern ausgeübt.

Japanische Haiku bestehen meistens aus drei Wortgruppen von 5 – 7 – 5 Lauteinheiten (Moren), wobei die Wörter in den Wortgruppen vertikal aneinandergereiht werden. Unverzichtbarer Bestandteil von Haiku sind Konkretheit und der Bezug auf die Gegenwart. Vor allem traditionelle Haiku deuten mit dem Kigo eine Jahreszeit an. Als Wesensmerkmal gelten auch die nicht abgeschlossenen, offenen Texte, die sich erst im Erleben des Lesers vervollständigen. Im Text wird nicht alles gesagt, Gefühle werden nur selten benannt. Sie sollen sich erst durch die aufgeführten konkreten Dinge und den Zusammenhang erschließen. Soweit also Wikipedia, verkürzt.

Und was sagen Autor der fotografierten kürzesten Gedichtart der Welt und der Verlag dazu? Im Ursprung ist ein Haiku ein minimalistisches Naturgedicht aus der Zen-Tradition. Die Leichtigkeit dieser Poesie inspiriert Martin Timm zu einem kompletten Umdenken bei seiner Arbeit als Naturfotograf. 



Landschaften und Pflanzen: nicht mehr klassisch-schön
Timm bewegt sich bei seinen Fotografien im Stil der japanischen Zen-Tradition weg von den klassisch-schönen Landschafts- und Pflanzenfotos. Stattdessen setzt er die Motive mit der Kamera so ins Bild, wie es die Dichter der japanischen Klassik pflegten: nicht als schönen Zustand, sondern als zufälliges Geschehen. Der Moment wird zum Motiv. Dabei kommt auch all das vor die Linse, was verdorrt, matschig oder entwurzelt ist. Das Ergebnis sind reduzierte, teils abstrahierte Aufnahmen, die durch ihre unaufgeregte Unschärfe gängige ästhetische Muster verlassen und den Raum für das ganz persönliche Erlebnis von Schönheit öffnen.

Scharf? Unscharf?
Mit diesen Kategorien ist die Naturfotografie von Martin Timm nicht zu fassen. Haiku-Fotografien besitzen einen speziellen Charakter, sie entstehen gelöst von der Suche nach dem perfekten Motiv und sind eine Mischung aus Meditation und Fotografie. Es ist der spannende Aufbruch zu neuen Wegen in der Naturfotografie.



Inspiriert von der japanischen Zen-Tradition geht es bei Timms Haiku-Fotografie grundlegend um Zurückhaltung, Erleben und Leichtigkeit. Der Künstler möchte viel gesehene und geliebte Naturmotive von ihrem Zwang zur Postkarten-Tauglichkeit erlösen und völlig neu umsetzen. Dabei rückt das Motiv selbst in den Hintergrund. Eindrücke, flüchtige, Formen, Farben, oft alles im diffusen, nicht erkenntlichen und erklärlichen dominieren. Er setzt die Motive mit der Kamera so ins Bild, wie es die Dichter der japanischen Klassik pflegten: nicht als schönen Zustand, sondern als zufälliges Geschehen. Der Moment wird zum Motiv. Abstrakte Kunst in Vollendung - und dabei das Großartige: Trotz aller Abstraktion erkennt man halt doch das eine oder anderen, erkennt, was fotografiert wurde, was der Fotograf gemeint und gedacht hat. Und das ist bei weitem besser als die reine Abstraktion.

Haiku fotografieren - auch ein Lehrbuch
Martin Timm geht es nicht darum, Herrschaftswissen zu bewahren. Er hat ein Lehrbuch geschrieben, trotz aller Schönheit und Poesie. Er erklärt, was er gemacht hat, was er dabei gedacht hat, er lockt die sensiblen unter seinen Fans zum Nachmachen. 



Dabei verzichtet Timm beim Haiku-fotografieren gerne auf technischen Schnickschnack. Im Gegenteil: Häufig kommen bei ihm Vergrößerungsgläser oder selbstkombinierte Linsensysteme aus alten Objektiven zum Einsatz. Ob das wohl alle nachmachen können? Im Praxisteil des Buches geht er auf die Ausrüstung, Einstellungen, Locations und Bildgestaltung ein. Dabei zeigt er viele seiner Haiku-Fotografien und erklärt anschaulich, wie das jeweilige Bild entstanden ist.

Zum Autor:

















Martin Timm studierte nach handwerklicher Lehre Fotoingenieurwesen in Köln und assistierte bei Werbe- und Architekturfotografen. Heute fotografiert er Natur, Architektur und abstrakte Themen. Er arbeitet in kommerziellen und freien Projekten, ist Trainer und Coach für diverse Spezialgebiete der Fotografie sowie Mitbegründer der Fotokunstakademie WennHeldenReisen. Ihn treibt die Lust, andere an der Intensität des Mediums Fotografie teilhaben zu lassen und in der gemeinsamen Erfahrung mit ihnen auch selbst zu wachsen.

Info:
Hier gibt es sogar eine Leseprobe zum Herunterladen.
Erfahren Sie noch mehr über das Buch: https://www.fotoforum.de/haiku

Martin Timm: Haiku fotografieren – Ein neuer Ansatz in der Naturfotografie. 168 Seiten, Festeinband mit Halbleinen, 23 x 23 cm. fotoforum-Verlag, Münster. ISBN: 978-3-945565-01-8. Preis: 29,90 €.
Sie erhalten das Buch im Buchhandel oder hier.


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